Baumposter - Kapitel 1: Einleitung und Erläuterung des Leitsatzes zur Baumkontrolle
Einleitung und Erläuterung des Leitsatzes zur Baumkontrolle
Wir freuen uns, dass unser interaktives Baumposter Ihr Interesse gefunden hat. Mit Hilfe dieses Posters möchten wir unsere Praxiserfahrungen in Form eines Baumkontrollleitfadens weitergeben, den wir stetig weiterentwickeln und u.a. auf dieser Internetseite nach und nach ergänzen werden. Wir verfolgen mit diesem Leitfaden keine kommerziellen Interessen, sondern freuen uns, wenn dieser dazu beiträgt, evtl. bestehende Unsicherheiten in Bezug auf die Bruch- und Standsicherheitskontrolle vorgeschädigter oder vermeintlich vorgeschädigter Bäume so zu vermindern, dass sich Panikfällungen oder übertrieben starke Kroneneinkürzungen vermeiden lassen und Bäume möglichst lange erhalten werden können. Dieser Leitfaden erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist das Ergebnis unserer jahrzehntelangen Beobachtungen gesunder und vorgeschädigter Bäume sowie der Auswertung von Schadens- und Referenzfällen unter Berücksichtigung der rechtlich gebotenen Vorgaben, die wir uns u.a. in unserer gemeinsamen Arbeit mit Helge Breloer aneignen durften. Wir möchten an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich an das lange Wirken und Schaffen von Helge Breloer zum Schutz und Erhalt von Bäumen erinnern.
Wir haben auf unserem interaktiven Baumposter insgesamt acht Themenblöcke rund um den Baum gebildet, deren Inhalte nachfolgend ausführlich vorgestellt und erläutert werden. Die Reihenfolge der Themenblöcke stellt hierbei keine Gewichtung dar, sondern folgt einer von mehreren möglichen Vorgehensweisen im Rahmen einer qualifizierten Baumkontrolle.
Exemplarisch beginnend mit der Betrachtung des Baumumfeldes über die Einstufung der Vitalität, der Betrachtung der Krone sowie des Stammkopfes, der Beurteilung des Stammes, des Stammfußes und der Wurzelanläufe endet eine Baumkontrolle mit der Einbeziehung sichtbarer Boden- und Standortparameter. Die im Rahmen der Kontrolle der einzelnen Baumzonen sowie des Baumumfeldes gewonnenen Erkenntnisse werden nun in Beziehung zu den Anforderungen der standortbezogenen Verkehrssicherungspflichten sowie des Naturschutzes gestellt, um so für jeden Einzelbaum ein zutreffendes Baumkontrollergebnis zu erhalten.
Versuchen Sie bei Ihrer praktischen Arbeit, die Vielzahl an Parametern, die Ihnen dieser Leitfaden an die Hand gibt, miteinander so zu verknüpfen und abschließend zu gewichten, das Sie jede Baumkontrolle mit einem ‘guten Bauchgefühl‘ beenden. Sie müssen Ihrem eigenen Baumkontrollergebnis vollständig vertrauen. Ist dies nicht der Fall, so kontrollieren Sie den Baum in naher Zukunft bei veränderter Witterung erneut oder veranlassen Sie entsprechende Folgemaßnahmen wie z.B. eine weitere Baumkontrolle oder eine eingehende Untersuchung.
Starten möchten wir die textlichen Erläuterungen zu unserem Baumkontrollposter mit einem wichtigen Leitsatz, der Ihnen helfen kann, Fehleinschätzungen zu vermeiden.
Leitsatz zur Baumkontrolle:
Wenn sich zwei oder mehr Schadmerkmale bzw. schadverstärkende Merkmale, die für sich alleine genommen oftmals keine erhöhte Versagensgefahr darstellen, engräumig überlagern, erhöht sich die Versagensgefahr überproportional!
Um Missverständnissen vorzubeugen, erläutern wir diesen Leitsatz zur Baumkontrolle zunächst ausführlich anhand verschiedener Praxisbeispiele. Die Anwendung unseres Leitsatzes setzt die Durchführung regelmäßiger Baumkontrollen voraus, um baumeigene Reaktionen auf Veränderungen erkennen zu können. Zudem wird die Durchführung von zusätzlichen Baumkontrollen nach extremen Witterungsereignissen unterstellt, so wie dies u.a. die FLL Baumkontrollrichtlinien empfehlen. Warum legen wir auf diese Hinweise gesteigerten Wert?
Unser Leitfaden beruht u.a. auf Beobachtungen, die wir in regelmäßigen Abständen bei vorgeschädigten Bäumen durchgeführt haben sowie auf der Auswertung einer Vielzahl an Schadensfällen. Hierbei hat sich gezeigt, dass vor allem baumeigene Reaktionen in vielen Fällen Hinweise darauf liefern können, ob für vorgeschädigte Bäume bzw. einzelne Baumteile eine erhöhte Versagensgefahr besteht oder sich zeitnah entwickelt.
Stammfuß mit einem auffälligen Schadmerkmal
Beginnen wir unsere Praxisbeispiele mit der Betrachtung des hohlen Stammfußes einer mächtigen Platane, die auf einem Spielplatz im Ruhrgebiet steht. Der Stammfuß weist auf seiner Südseite eine tief reichende Öffnung auf. Seitlich der Stammfußhöhle erkennen wir kräftige Wurzelanläufe mit jeweils steilem Abgangswinkel. Die Höhle wird zudem seitlich eingefasst durch moderat zuwachsende Wundholzwülste. Der obere Abschluss der Höhle ist rissfrei und geschlossen. Die weiteren Wurzelanlaufkehlen sind ebenfalls sämtlich geschlossen und rissfrei. Die Krone weist eine gute Vitalität auf.
Abbildung 1 - Mächtige Platane, die auf einem Spielplatz im Ruhrgebiet steht. Der Stammfuß weist auf seiner Südseite eine tiefe Stammfußöffnung auf. Seitlich der Stammfußhöhlung sind kräftige Wurzelanläufe mit jeweils steilem Abgangswinkel zu erkennen. Weitere Schadmerkmale lassen sich nicht erkennen.
Außer der einzelnen Stammfußöffnung lässt sich kein weiteres Schadmerkmal im Rahmen einer Baumkontrolle an diesem Stammfuß ablesen. Hieraus kann ein erfahrener Baumkontrolleur nun ableiten, dass sich aus der tiefen Stammfußhöhlung als einzig feststellbarem Schadmerkmal kein erhöhtes Versagensrisiko im Vergleich zu einer benachbarten Platane mit vollumfänglich geschlossenem Stammfuß ergibt.
Begründen lässt sich die vorgenannte Feststellung wie folgt:
- Die Stammfußöffnung ist bereits viele Jahre alt. Auf Grund des sekundären Dickenwachstums der kräftigen Wundholzränder hat die Öffnungsbreite im Verlaufe der vergangenen Jahre nicht zu - sondern abgenommen. Das obere Ende der Höhle hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Die fäulnisbedingt zunehmende Tiefe der Höhle ist für die Bewertung der Bruchsicherheit zunächst unerheblich, da der Lastabtrag bekanntermaßen über die äußeren Randfasern - und bei diesem Stammfuß insbesondere - über die kräftigen und seit Jahrzehnten gleichbleibend segmentierten Stammfußrippen erfolgt. Zudem hat dieser einseitig geöffnete Stammfuß in den vergangenen Jahrzehnten einige heftige Sturmereignisse über sich ergehen lassen müssen. Hierbei haben die seitlich an die Höhle angrenzenden Stammfußzonen, die bei Sturmereignissen am stärksten belastet werden, an keiner Stelle sichtbar versagt oder nachgegeben. Wäre es zu einer Überlastung einzelner Stammfußzonen gekommen, hätten sich zwangsläufig weitere sichtbare Schadmerkmale gezeigt, die der Baumkontrolleur im Rahmen seiner regelmäßig durchgeführten Kontrolle bereits in der Vergangenheit hätte wahrnehmen können. Weitere mögliche Schadmerkmale könnten z.B. das Einreißen des oberen Endpunktes der Stammfußhöhe oder die Entstehung von Längsrissformationen sowohl in den tiefen Stammfußkehlen als auch auf den breiten Wurzelanläufen sein. Torsionsmerkmale wie verdreht verlaufende Rissformationen wären ebenso möglich wie das Auftreten von Fruchtkörpern holzabbauender Pilze im Umfeld der Stammfußöffnung.
Da sich jedoch im Rahmen der regelmäßig durchgeführten Baumkontrolle - außer der zugegebenermaßen sehr tiefen Stammfußöffnung als einzigem Schadmerkmal - keine weiteren Schadmerkmale erkennen lassen, kann der Stammfuß dieser Platane als bruchsicher eingestuft werden.
Diese Platane steht somit exemplarisch für Bäume bzw. einzelne Baumzonen (in diesem Fall der Stammfuß des Baumes), der in seiner Gesamtheit zunächst nur ein auffälliges Schadmerkmal aufweist und in der hier bestehenden Konstellation als bruchsicher eingestuft werden kann.
Die nachfolgenden Bilder zeigen exemplarisch weitere Beispiele von ausschließlich einzeln auftretenden Schadmerkmalen, die für Laien so wirken, als stellten sie eine unmittelbare Versagensgefahr dar, bei genauer Betrachtung durch einen geübten Baumkontrolleur jedoch als nicht bruchgefährlich einzustufen sind.
Abbildung 2 - Das linke Bild zeigt eine fäulnisbedingte Höhle von einer Stämmlingsentnahme an einer alten Rosskastanie. Die Höhle wird durch einen kräftigen, aktiven Wundholzring eingefasst. Weitere Schadmerkmale wie Rissformationen, Ausbeulungen oder starke Stauchungen lassen sich nicht erkennen. Es liegt somit nur ein einzelnes Schadmerkmal an diesem kräftigen Stamm vor.
Abbildung 3 - Das rechte Bild zeigt eine alte Ausrissstelle am Stamm einer Linde. Die Bruchstelle wird eingerahmt durch kräftige Wundholzränder. Der Stammabschnitt hinter den Wundholzrändern ist weit ausgefault. Im Umfeld der Ausbruchstelle lassen sich keine weiteren Schadmerkmale erkennen.
Abbildung 4 - Stammfuß einer vitalen Eiche mit einer Pilzbesiedelung ausschließlich in einer einzelnen Stammfußkehle, seitlich eingerahmt durch kräftige und stabile Wurzelanläufe. Weitere Schadmerkmale oder Versagenshinweise lassen sich am Stammfuß dieser Eiche nicht erkennen. Die vitale Eiche kann somit, trotz der Pilzbesiedelung als einzigem Schadmerkmal, als standsicher eingestuft werden.
Auf welche Schadmerkmale bei der Kontrolle eines Stammfußes zu achten ist, wird in dem entsprechenden Kapitel unseres Leitfadens ausführlich dargestellt und erläutert.
Aus den vorgenannten Beispielen lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Bäume oder einzelnen Baumzonen, an denen sich auf den ersten Blick nur jeweils ein einzelnes Schadmerkmal erkennen lässt, grundsätzlich verkehrssicher sind.
Zunächst müssen verständlicherweise alle unmittelbar nach einem extremen Witterungsereignis oder in der Wirkung vergleichbarem Ereignis (z.B. baubedingte Wurzelabrisse) auftretende Schäden bzw. Schadsymptome von unserem Leitsatz (wenn sich zwei oder mehr Schadmerkmale bzw. schadverstärkende Merkmale, die für sich alleine genommen oftmals keine erhöhte Versagensgefahr darstellen, engräumig überlagern, erhöht sich die Versagensgefahr überproportional) ausgenommen werden. In solchen Situationen haben die jeweils Ad hoc geschädigten Bäume bzw. Baumzonen keinerlei Möglichkeit, mittels baumeigener Reaktionen auf eine mögliche Überlastung der geschädigten Querschnitte oder der jeweiligen Baumzonen zu reagieren bzw. können noch keine Wuchsreaktionen vorliegen.
Abbildung 5 - Gekrümmter Stamm einer Pappel, der im Sturm überlastet wurde und hierbei längs eingerissen ist.
Darüber hinaus kommt es im Rahmen von Baumkontrollen zuweilen vor, dass man auf Bäume oder Baumteile trifft, an denen sich auf den ersten Blick jeweils nur ein einzelnes Schadmerkmal erkennen lässt. Bei intensiver Kontrolle oder Begutachtung zeigt sich jedoch, dass weitere Schadsymptome und/oder schadverstärkende Merkmale vorliegen, die eine deutlich erhöhte Versagenswahrscheinlichkeit anzeigen.
Beispielhaft hierfür stehen die tiefreichende Rissformation am Stamm einer Rot - Buche sowie der mit zwei Fruchtkörpern des Harzigen Lackporlings besetzte Stammfuß einer vitalen Rot - Eiche, die nachfolgend beschrieben werden. Aufgabe des Baumkontrolleurs ist es nun, sich mit den Schadsymptomen sowie schadverstärkenden Merkmalen auseinander zu setzen und diese zu gewichten.
Abbildung 6 - Längs eingerissener Stamm einer Rot-Buche. Auf den ersten Blick wirkt es so, als liege mit dem frischen Riss nur ein einzelnes Schadmerkmal vor. Bei genauer Betrachtung des Stammes sowie des Baumumfeldes lässt sich jedoch erkennen, dass die säbelartige Vorkrümmung des Stammes, die sehr hoch ansetzende Krone, der für die Baumhöhe von 30 Metern sehr schlanke Stamm sowie eine vor einigen Jahren erfolgte Freistellung bei der Bewertung des Schadbildes als schadverstärkende Merkmale zu berücksichtigen sind.
Bleiben wir zunächst bei dem Beispiel mit dem tiefreichenden Riss im Stamm der oben abgebildeten Rot - Buche und machen uns die Mühe, tiefer einzusteigen in die Interpretation von Schadsymptomen und schadverstärkenden Merkmalen. Was im Rahmen einer Baumkontrolle auf den ersten Blick so aussieht, als sei der Längsriss das einzige Schadmerkmal, so entpuppt sich dieser Riss bei genauer Betrachtung des gesamten Baumes oftmals als erster Hinweis auf weitere Schadsymptome und/oder schadverstärkende Merkmale. Zunächst findet sich die Rissformation auf beiden Seiten des Stammes wieder. Der Stamm ist kein homogener Holzkörper mehr, sondern hat sich im Bereich des Risses in zwei Stammhälften aufgetrennt. Der für die Baumhöhe von etwa 30 Metern sehr schlanke Stamm der Rot - Buche weist im Bereich der Risszone u.a. eine Krümmung auf. Hier haben wir nun - neben der tiefreichenden Rissformation - bereits ein weiteres, schadbegünstigendes Merkmal, aus dem sich die Entstehung des tiefreichenden Risses erklären lässt. Die Buche wurde zudem einige Jahre vor der sturmbedingten Rissbildung freigestellt. Also gesellt sich zu dem eigentlichen Schadmerkmal - dem tiefreichenden Riss - sowie dem schadbegünstigendem Merkmal - der Krümmung des schlanken Stammes - ein weiteres, schadbegünstigendes Merkmal hinzu. Betrachtet man zudem die sehr hoch ansetzende Krone der freigestellten Rot - Buche, so kommt man in der Gesamtbetrachtung der Baumkontrolle für diesen Baum nicht, wie zunächst angenommen, nur auf ein einzelnes, sondern auf mindestens drei Schadsymptome bzw. schadverstärkende Merkmale.
Nehmen wir nun als weiteres Beispiel eine vitale Rot - Eiche genauer unter die Lupe, die am Stammfuß zwei Fruchtkörper des Harzigen Lackporlings aufweist. Auf den ersten Blick springen dem Baumkontrolleur ausschließlich die jungen Fruchtkörper des vorgenannten Pilzes zwischen zwei Wurzelanläufen ins Auge. Die Krone der Rot - Eiche zeigt eine gute Vitalität, weitere offensichtliche Schadmerkmale lassen sich zunächst von einem Laien nicht erkennen. Der vom zuständigen Baumkontrolleur erkannte Fruchtkörper des Harzigen Lackporlings lässt diesen auf Grund seines Wissens um die als kritisch einzustufende Pilz - Wirt - Kombination genauer hinschauen. Zunächst stellt der Kontrolleur fest, dass die Rot - Eiche eine deutliche Neigung aufweist. Die Fruchtkörper finden sich in der Stammfußkehle der zwei neigungsabgewandten Haupthaltewurzelanläufe. Betrachtet man nun das Borkenbild auf der Oberseite eines der beiden pilzbesetzen Haupthaltewurzelanläufe, so erkennt man ausschließlich auf der Oberseite dieses pilzbesetzen Wurzelanlaufes ein auffällig verjüngtes Borkenbild als weiteres Warnsignal.
Abbildung 7 - Auf dem linken Bild sind die jungen Fruchtkörper des Harzigen Lackporlings zu sehen.
Abbildung 8 - Das rechte Bild zeigt die gleichen Fruchtkörper etwa drei Monate später am Stammfuß einer geneigten Rot - Eiche mit einer kräftigen Stammfußrippe, die in ihrem Borkenbild auffallend starke Zuwächse erkennen lässt.
Abbildung 9 - Da der versierte Baumkontrolleur dem Hinweis des auffällig starken Dickenwachstum an einem der beiden pilzbesetzen Haupthaltewurzelanläufe nachgeht, entfernt er die Fruchtkörper des Harzigen Lackporlings und stellt unterhalb der Anhaftstelle eine weit fortgeschrittene Zersetzung des ehemals tragenden Wurzelholzes fest. Gleiches gilt für den benachbarten Wurzelanlauf. Da die pilzbedingte Fäule an beiden Haupthaltewurzelanläufen bereits sehr weit fortgeschritten ist und der Baum eine deutliche Neigung Richtung Bebauung aufweist, muss die Rot-Eiche gefällt werden.
Bei genauer Betrachtung lassen sich somit, neben den Fruchtkörpern des Harzigen Lackporlings, das auffallend starke Dickenwachstums an einem Haltewurzelanlauf als weiteres Warnsignal sowie die deutliche Neigung des Baumes als schadverstärkendes Merkmal erkennen.
Hinweise auf ein erheblich erhöhtes Versagensrisiko
Bei einer Vielzahl von ausgewerteten Schadensfällen hat sich gezeigt, dass beim Vorhandensein von zwei oder mehr sich engräumig überlagernden Schadmerkmalen bzw. schadverstärkenden Merkmalen, die für sich alleine genommen oftmals keine erhöhte Versagensgefahr darstellen, von einer deutlich erhöhten Versagensgefahr auszugehen ist. Die nachfolgenden Beispiele beleuchten diesen Leitsatz:
Abbildung 10 - Das linke Bild zeigt den Stammkopf einer hohen Sommerlinde. Das obere Ende der Leiter lehnt an einer tiefen Faulhöhle, die an der Kappstelle eines ehemals kräftigen Stämmlings entstanden ist. In der Höhlung finden sich Fruchtkörper des Brandkrustenpilzes. Seitlich der Höhlung haben sich kräftige Zuwachsrippen mit sehr jungem Rindenbild ausgebildet, die jedoch keine strukturelle Verbindung zum bruchgefährdeten Zwiesel unmittelbar oberhalb der Höhlung aufweisen. Entlang einer Zwieselnaht haben sich Fruchtkörper des Brandkrustenpilzes ausgebildet. Bei diesem Stammkopf überlagern sich somit engräumig mindestens drei Schadmerkmale bzw. schadverstärkende Merkmale.
Abbildung 11 - Das rechte Bild zeigt den Stammkopf der Linde nach dem Bruch.
Abbildung 12 und 13 - Gekippte Rot-Buche als weiteres Beispiel für sich engräumig überlagernde Schadsymptome und schadverstärkende Merkmale. Die Rot-Buche wurde vor einigen Jahren einseitig freigestellt. Der gesamte Baum wies vor dem Kippen eine leichte Neigung auf. Auf dem an einer Grabenkante stehenden Wurzelteller haben sich an drei Stellen Fruchtkörper des Riesenporlings ausgebildet. Zwei Fruchtkörper haben sich hierbei unmittelbar an den beiden Haupthaltewurzeln sowie ein Fruchtkörper auf der Oberseite einer Starkwurzel ausgebildet.
Abbildung 14 und 15 - Der zentrale Haupthaltewurzelanlauf löst sich optisch sichtbar vom Stammfuß ab. Oberhalb eines weiteren Haltewurzelanlaufes lassen sich auffällig starke Zuwächs im Rindenbild ablesen. Auch dieser Wurzelanlauf weist eine Besiedelung mit den Riesenporling auf. In der Gesamtheit lassen sich somit mindestens drei Schadsymptome (Pilzbesiedelung mit dem Riesenporling, sich optisch ablösender Haupthaltewurzelanlauf, auffallend starke Dickenzuwächse an einem weiteren Haltewurzelanlauf) sowie als schadverstärkende Merkmale die vor einigen Jahren erfolgte Freistellung sowie die Neigung des Baumes erkennen.
Abbildung 16 - Nach dem Zerlegen des Stammes zeigte sich, dass der Riesenporling bereits seit einigen Jahren im Stammfuß sowie Wurzelkörper der gekippten Rot-Buche holzzersetzend gewirkt hat.
Als weiteres Beispiel des erhöhten Versagensrisiko beim Vorhandensein sich engräumig überlagernder Schadmerkmale soll eine Stiel - Eiche dienen, die am Waldrand einer viel befahrenen Straße in Potsdam gestanden hat und deren Krone bei geringen Windstärken auf parkenden Autos gestürzt ist.
Abbildung 17 und 18 - Stamm einer gebrochenen Stiel - Eiche mit mehrjähriger Besiedlung durch den Eichenfeuerschwamm. Der Stamm der Eiche weist in Relation zur Größe der Fruchtkörper einen kleinen Querschnitt auf. Der Stamm war Richtung Waldrand vorgeneigt, die Krone setzte bestandsbedingt sehr hoch an. Der Stammbruch erfolgte bei geringen Windstärken.
Welche Schadsymptome wären im Vorfeld des Stammbruches im Rahmen einer qualifizierten Baumkontrolle an dieser Eiche zu erkennen gewesen? Zunächst `springen` die versetzt angeordneten Fruchtkörper des Eichenfeuerschwamms ins Auge. Zudem die schmale Stammzone mit sehr jungen Rindenbild, die sich seitlich der Pilzfruchtkörper ausgebildet hat. Gut zu erkennen ist die fehlende strukturelle Verbindung dieser schmalen Zuwachszone zum pilzbesetzen Holzkörper des benachbarten Stammholzes sowie der sich hieraus ergebende, schmale Spalt. Ferner springt die in Relation zum Stammquerschnitt breite und lange Querschnittsverflachung im Umfeld der Pilzfruchtkörper ins Auge, die auf eine bereits mehrjährig anhaltende Zersetzung des Stammholzes in diesem Stammabschnitt hinweist. Als mögliches schadverstärkendes Merkmal wären die Neigung des Baumes, der insgesamt schmale Stammdurchmesser sowie die hoch ansetzende Krone der Eiche in die Bewertung mit einzubeziehen. Im Ergebnis wären somit mindestens drei sehr auffällige, sich engräumig überlagernde Schadsymptome in Kombination mit drei weiteren, schadverstärkenden Merkmalen zu erkennen gewesen, die als Konsequenz die zeitnahe Fällung der Eiche erfordert hätten.
Als abschließendes Beispiel sich engräumig überlagernder und brucherhöhender Schadmerkmale dient die Kronengabel einer großen Kastanie im Stadtgebiet von Greven. Die breit angelegte Gabel weist auf einer Seite entlang der ehemals geschlossenen Rindenleiste einen tiefreichenden Riss mit mehrjährigen Wundholzrändern auf. Der Riss setzt sich auf der Oberseite der Gabel bis auf die gegenüberliegende Stämmlingsseite fort. Der Riss umläuft hierbei den vergreisten Wundholzrand eines älteren Astkragens, der sich an der Schnittstelle eines entnommenen Starkastes ausgebildet hat. Der Restholzkörper des abgeschnittenen Starkastes ist stark zersetzt, die pilzbedingte Fäule reicht tief in den zentralen Holzkörper der Stämmlingsgabel hinein. Auch bei diesem Beispiel überlagern sich verschiedene Schadsymptome sowie schadverstärkende Merkmale in Form der Rissformationen, der älteren Wundholzformationen entlang der Rissöffnungen als Hinweis auf den bereits mehrjährig bestehenden Riss, der sichtbar zersetzte Holzkörper an der Schnittstelle des entnommenen Astes sowie die anhand der Zwieselform erkennbar weit ausladenden Sämmlinge als schadverstärkendes Merkmal.
Wenn Sie also bei der Baumkontrolle, neben der Vielzahl der auf unserem Poster aufgeführten Schadsymptome, unseren Leitsatz der sich überlagernden Schadsymptome als Hinweisgeber deutlich erhöhter Versagensgefahren verinnerlichen, können Sie Ihre Baumkontrollen mit einem sehr hohen Maß an Sicherheit durchführen.
Abbildung 19 - Stämmlingsgabel einer Rosskastanie mit sich überlagernden Schadsymptomen, die sich mithilfe eines Fernglases bei einer qualifizierten Baumkontrolle gut erkennen und bewerten lassen. Die Gabel weist auf einer Seite entlang der Rindenleiste einen tiefreichenden Riss mit mehrjährigen Wundholzrändern auf.
Abbildung 20 - Der Riss setzt sich über die Oberseite der Gabel bis auf die gegenüberliegende Stämmlingsseite fort. Der Riss umläuft hierbei den vergreisten Wundholzrand eines älteren Astkragens, der sich an der Schnittstelle eines Starkastes ausgebildet hat.
Die vorab ausführlich beschriebenen Beispiele sind als Einstieg in die Verwendung unseres interaktiven Baumposters unter Berücksichtigung unseres Baumkontrollleitsatzes (Wenn sich zwei oder mehr Schadmerkmale bzw. schadverstärkende Merkmale, die für sich alleine genommen oftmals keine erhöhte Versagensgefahr darstellen, engräumig überlagern, erhöht sich die Versagensgefahr überproportional!) gedacht.
Im Weiteren stellen wir Ihnen nun mit ausführlichen Erläuterungen und Bildbeschreibungen acht Themenblöcke vor, die in ihrer Gesamtheit die Grundlage einer fachlich qualifizierten Baumkontrolle darstellen.
Wir wünschen nun allen Lesern ein hohes Maß an Erkenntnisgewinn und hoffen, dass Sie unser interaktives Baumposter und die ausführlichen Erläuterungen hierzu bei Ihrer täglichen Arbeit als BaumkontrolleurIn weiter voran bringen. Über Hinweise oder fachlich begründete Kritik freuen wir uns.
Erreichen können Sie uns hierzu unter: info@baumzentrum.de.
Marc Wilde & Marko Wäldchen
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